Die Zukunft der Organ- und Gewebespende: Künstliche Organe und Biotechnologie

Mehr als 8.200 Menschen stehen in Deutschland auf der Warteliste für ein Spenderorgan. 667 auf der Warteliste stehenden Personen verstarben im Jahr 2023. Die Forschung stellt sich daher schon seit langem die Frage: Sind künstliche Organe eine Lösung? In den vergangenen Jahren forschten kluge Köpfe an fortschrittlichen Technologien wie Bioprinting und Tissue Engineering. Diese Ansätze könnten nicht nur die Organspende revolutionieren, sondern auch ethische Fragen und medizinische Herausforderungen neu definieren. In diesem Artikel erfahren Sie, was künstliche Organe sind, wie sie hergestellt werden und welche Chancen und Risiken sie mit sich bringen.
Kurz gefasst
  • Künstliche Organe sind mechanische oder biologische Ersatzorgane, die die Funktion eines natürlichen Organs übernehmen.
  • Technologien wie Bioprinting und Tissue Engineering ermöglichen die Herstellung aus patienteneigenen Zellen.
  • Künstliche Organe könnten in Zukunft den Bedarf an Spenderorganen decken und Abstoßungsreaktionen vermeiden.
  • Der Einsatz dieser Technologien wirft jedoch ethische Fragen auf und ist noch mit hohen Kosten verbunden.

Definition: Was sind künstliche Organe?

Künstliche Organe sind mechanische oder biologische Ersatzorgane, die die Funktion eines natürlichen Organs übernehmen. Ihre Herstellung basiert auf fortschrittlichen Technologien wie dem 3D-Druck, Bioprinting und Tissue Engineering. Dabei werden entweder künstliche Materialien oder patienteneigene Zellen verwendet, um Organe zu erschaffen, die mit dem menschlichen Körper kompatibel sind. 

Was sind Bioprinting und Tissue Engineering?

Bioprinting

Diese Praktik etwa ist eine Sonderform des 3D-Drucks und noch vergleichsweise neu. Bei diesem Verfahren werden organische Substanzenschichtweise angeordnet, sodass aus ihnen dreidimensionale Objekte entstehen. Beim klassischen 3D-Druck werden vor allem Metalle und Kunststoffe verwendet, während Bioprinting auf Zellmaterialien basiert. Über verschiedene Schritte hinweg wird das Zellgewebe zu einem Gel verarbeitet – die sogenannte Bio-Tinte. 

Die Forschung ist auf dem Formarsch: Bereits 2019 gelang es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Tel Aviv University, ein kleines menschliches Herz zu drucken. Noch ist die Methode aber längst nicht ausgereift. Ein funktionstüchtiges Organ durch Bioprinting herzustellen und zu verpflanzen, ist noch keinem gelungen. 

Eine Revolution wäre schon das Herstellen von Gelenken. Gelenkimplantate sind längst im Alltag angekommen, doch Prothesen aus körpereigenen Zellen würden eine neue Ära einläuten. 

Tissue Engineering

Frei übersetzt heißt diese Methode „Gewebekonstruktion“. Das Forschungsfeld setzt sich mit der künstlichen Herstellung von biologischem Gewebe auseinander. Ziel ist es, beschädigte oder erkrankte Gewebe im Körper zu ersetzen oder zu regenerieren. Dabei werden Zellen, Biomaterialien und biochemische Faktoren kombiniert, um funktionsfähige Gewebestrukturen zu erschaffen. Dieses Verfahren leistet mitunter bei Hauttransplantationen dem Herstellen von Herzklappen oder Knorpel- und Knochenersatz seinen Beitrag. Im Labor gelingt auch schon gezüchtetes Nieren- und Lebergewebe; ein komplettes Organ konnte jedoch bis jetzt nicht erstellt werden. 

Welche künstlichen Organe gibt es in Zukunft?

Ein neues Herz, eine funktionsfähige Niere oder eine transplantierbare Leber – die Idee, komplette Organe künstlich herzustellen, klingt wie Science-Fiction. Doch genau daran arbeiten Wissenschaftler weltweit. Während Spenderorgane knapp sind, könnten künstliche Alternativen in Zukunft Leben retten. Allerdings steht die Forschung diesbezüglich noch am Anfang. An folgenden künstlichen Organen wird jedoch bereits geforscht.

Nieren und Leber

Die Wissenschaft konzentriert sich vor allem auf die Herstellung von Nieren und Lebern. Beide Organe sind besonders häufig von chronischen Erkrankungen betroffen. Insbesondere die Niere ist das am häufigsten benötigte Organ, weshalb die Nierenlebendspende eine wichtige Form der Organspende darstellt. Ende 2023 standen in Deutschland 6.513 Menschen auf der Warteliste für eine Nierentransplantation. Während die Nierenfunktionen zeitweise durch Dialyse unterstützt werden können, arbeiten Forscherinnen und Forscher daran, voll funktionsfähige Organe durch Biotechnologie herzustellen.

Herz

Das Kunstherz ist eines der ältesten künstlichen Organe und wird seit über 50 Jahren als Übergangslösung eingesetzt. 1969 entwickelte der argentinische Arzt Domingo Liotta das erste Kunstherz, das einem Patienten am Texas Heart Institute implantiert wurde. Der Patient überlebte drei Tage damit, verstarb jedoch nach der Transplantation eines Spenderherzens.

Heute überbrückt das Kunstherz die Wartezeit auf ein Spenderherz, die viele Jahre dauern kann. Es unterstützt das natürliche Herz, birgt aber Risiken wie Infektionen oder Schlaganfälle. Fortschritte wie die Hightech-Pumpe „Carmat Aeson“ zeigen, dass das Kunstherz in Zukunft auch als dauerhafte Lösung für herzkranke Patientinnen und Patienten dienen könnte. Ein Team der Herzchirurgie am Universitätsklinikum Heidelberg hat zwei Patienten Mitte 2024 die Kunstherzen Carmat Aeson eingesetzt. Das Besondere: Die Kunstherzen unterstützen dabei nicht die natürliche Herzfunktion, sondern übernehmen diese komplett. Die Hydraulikpumpe, die größer ist als ein natürliches Herz und etwa 3-mal so schwer, wird in den Brustkorb eingesetzt, ähnlich wie bei einer Herztransplantation. Sie wird mit den großen Blutgefäßen und den Herzvorhöfen verbunden, bevor der Brustkorb wieder verschlossen wird. Ein Kabel zur Stromversorgung bleibt jedoch außen und verbindet das Kunstherz mit den Akkus, die der Patient in einer Umhängetasche trägt.

Derzeit gibt es nur zwei künstliche Herzen (THA), die auch als jene zugelassen sind. Das etwas ältere SynCardia-System wurde in den USA entwickelt und ist weltweit zugelassen. Das Carmat Aeson ist momentan nur in Europa zugelassen.

Gut zu wissen

Wie funktioniert ein Kunstherz?

Ein Kunstherz ist eine mechanische Pumpe, die das Blut durch den Körper befördert, wenn das natürliche Herz versagt. Es ersetzt entweder komplett das Herz (Total Artificial Heart, TAH, bei akuter Lebensgefahr) oder unterstützt es (Ventricular Assist Device, VAD). Ein künstliches Herz besteht aus Hohlkammern, die sich mit Blut füllen. Motoren oder Druckluft bewegen flexible Membranen, die das Blut wie ein Kolben nach vorne drücken. Klappen sorgen dafür, dass das Blut nur in eine Richtung fließt – genau wie bei einem natürlichen Herz. Die Motoren dafür sind inzwischen recht klein und können unauffällig am Körper getragen werden. Eine dauerhafte Lösung sind sie allerdings bis jetzt noch nicht.

Welche Gewebe können künstlich hergestellt werden?

Organe sind komplexer als Gewebe. Ganze Organe bestehen aus verschiedenen Geweben und grenzen sich im Körper zu einer Funktionseinheit ab. Bei der Herstellung von Geweben ist die Forschung hier schon deutlich weiter. Knochen und Knorpel sowie Muskelgewebe können künstlich hergestellt werden. Einfacher zu produzieren sind zum Beispiel auch Gewebe wie Haut und Hornhaut für eine Augenhornhauttransplantation.

Besonders im Bereich der Augenmedizin wurden Fortschritte gemacht, um Hornhäute mithilfe von Xenotransplantation (Übertragung von Zellen, Geweben oder Organen zwischen Tier und Mensch) oder Tissue Engineering zu ersetzen.

Vor- und Nachteile künstlicher Organe

Die Entwicklung von künstlichen Organen eröffnet enorme Chancen, bringt jedoch auch Herausforderungen mit sich:

Vorteile von künstlichen Organen

  • Unabhängigkeit von Spenderorganen: Mit künstlichen Organen könnte der chronische Mangel an menschlichen Spenderorganen überwunden werden.
  • Reduziertes Risiko von Abstoßungsreaktionen: Organe aus patienteneigenen Zellen bieten eine höhere Verträglichkeit und könnten die Notwendigkeit lebenslanger Immunsuppression verringern.
  • Individualisierte Medizin: Technologien wie Bioprinting ermöglichen die maßgeschneiderte Herstellung von Organen, die optimal auf den Körper abgestimmt sind.

Herausforderungen von künstlichen Organen

  • Hohe Kosten: Die Herstellung von künstlichen Organen ist teuer und für viele Patientinnen und Patienten noch nicht zugänglich.
  • Künstliche Organe vs. Ethik: Die Nutzung von Stammzellen und die potenzielle soziale Ungleichheit beim Zugang zu diesen Technologien werfen ethische Fragen auf.
  • Technische Hürden: Die Herstellung hochkomplexer Organe wie Herzen oder Lungen bleibt schwierig, insbesondere die Integration in den menschlichen Körper.
Gut zu wissen

Künstliche Organe und die zugrundeliegende Ethik

Noch sind viele Fragen Zukunftsmusik. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Bereich der Ethik der FH Münster widmen sich ihnen jedoch schon jetzt. Unter anderem beleuchten sie die Frage der Autonomie. Patienten sollten ehrlich und umfassend über die möglichen Folgen einer Organtransplantation informiert werden, unabhängig davon, ob es sich um ein Spenderorgan oder ein künstliches Organ handelt. Nur so können sie eine selbstbestimmte Entscheidung treffen. Die Massenproduktion künstlicher Organe könnte das Problem des Organmangels lösen und den illegalen Organhandel eindämmen, wodurch viele Menschenrechtsverletzungen vermieden und die Autonomie der Patienten gewahrt werden könnten. Außerdem: Unternehmen, die neue Technologien entwickeln, sollten das Recht haben, ihre Forschung durch Patente zu schützen, da oft jahrelange Arbeit dahintersteckt. Es wäre jedoch problematisch, wenn diese Unternehmen auch die entstehenden Organe und Gewebe als ihr Eigentum betrachten. Ein Monopol auf die Herstellung künstlicher Organe könnte dazu führen, dass Preise und Verteilung ungerecht gestaltet werden, was ärmere Menschen und Länder benachteiligen würde.

Fazit: Organspende in Zukunft revolutionieren

Technologien wie Bioprinting ermöglichen neue Ansätze, um den Mangel an Spenderorganen zu beheben und Patientinnen und Patienten eine bessere Lebensqualität zu bieten. Obwohl noch viele Herausforderungen bestehen, zeigen die Fortschritte der letzten Jahre, dass künstliche Organe ein zentrales Thema der Forschung bleiben – und vielleicht schon bald Realität werden.

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren