Mit dem Herzen dabei

Schwer bepackt, mit Laptop, Beamer, ausreichend Informationsmaterial, Organspendeausweise und seinem alten Kunstherzen besucht Hubert Knicker Schulen und Vereine. Er hat ein Spenderherz und möchte zum Thema Organspende aufklären. Dabei erzählt er seine Krankengeschichte – ungeschönt und ehrlich.

Mit dem Herzen dabei

Schwer bepackt, mit Laptop, Beamer, ausreichend Informationsmaterial, Organspendeausweise und seinem alten Kunstherzen besucht Hubert Knicker Schulen und Vereine. Er hat ein Spenderherz und möchte zum Thema Organspende aufklären. Dabei erzählt er seine Krankengeschichte – ungeschönt und ehrlich.

Hubert Knicker holt seinen Rucksack aus dem Kofferraum seines Autos.

Auf einer Mission

Drei Mal in der Woche packt Hubert Knicker seine Materialien in den Kofferraum, fährt zu einer Schule und erzählt seine Geschichte. Das Team von „Organspende – Die Entscheidung zählt!“ konnten ihn in die Gesundheits- und Krankenpflegeschule im Martin-Luther-Krankenhaus Bochum-Wattenscheid begleiten. Am Tag zuvor war er noch in Bielefeld. Hubert Knicker ist getrieben von der Verantwortung, die er aus seinem Spenderherz ableitet. Dabei folgt er zwar einer Mission – als Missionar tritt er aber nicht auf. Stattdessen berichtet er nüchtern und ehrlich von seinem Leben. 

Die Tür des Klassenraums steht offen. Die meisten Schülerinnen und Schüler sitzen bereits, obwohl noch Pause ist. Ihre Blicke? Neugierig bis skeptisch. Hubert Knicker nutzt die verbleibende Pausenzeit, um still seine Utensilien aus dem Rucksack zu holen und den Beamer auszurichten. Ein Skelett, das neben ihm in der Ecke lehnt, wird noch schnell von einer Schülerin der Nachbarklasse rausgerollt.

Zu sehen ist eine Nahaufnahme von Regentropfen an einer Glasscheibe. Der Hintergrund ist verschwommen.

Ein kleiner Stich wird lebensbedrohlich

Die Schulstunde beginnt und Hubert Knicker erzählt. Die anfängliche Unruhe in der Klasse legt sich schnell. Er nimmt die Klasse mit in das Jahr 1995, als alles anfing. Eine verschleppte Virusinfektion, ausgelöst durch einen einfachen Mückenstich am Fuß, führt 15 Jahre später zu einer Herztransplantation. Hubert Knicker ist 37 Jahre alt, Krankenpfleger, verheiratet, Vater eines zwölfjährigen Sohnes, als er in Folge der Virusinfektion eine schwere Herzmuskelentzündungbekommt. Er fühlt sich schlapp und kurzatmig. Seine Herzleistung ist bereits auf 30 Prozent zurückgegangen. Der Arzt erklärt ihn für arbeitsunfähig, starke Herzmedikamente begleiteten ihn ab diesem Zeitpunkt. 

Alles geht langsamer, aber es geht. Bis zu einem kühlen Herbsttag, an dem Hubert Knicker vom Aufsitzrasenmäher fällt und sich nur mit letzter Energie die Treppenstufen zu seiner Frau hochziehen kann. Mit Kammerflimmern kommt er ins Krankenhaus. Von nun an sichert ein implantierter Defibrillator seinen Herzschlag. Als der ihn eines Nachts wiederbelebt, schildert er der Klasse, seien die Schmerzen der elektrischen Stöße so heftig wie Pferdetritte gewesen. Acht Mal hintereinander. In seiner Präsentation hat er dafür ein kleines schwarzes Pferd eingebaut.

Das Foto zeigt eine Nahaufnahme von Hubert Knicker, das beim Gehen entstanden ist. Er schaut an der Kamera vorbei und hat einen leicht gebeugten Kopf. An seinem Sakko steckt ein Ansteckherz.

Leben mit Kunstherz

Ein Kunstherzsystem ist daraufhin unausweichlich, was eine erneute Operation bedeutet. Den neuen ständigen Begleiter nimmt er an, er tauft ihn sogar „Rainer“, nach seinem Kardiologen, der ihn damals vor die Wahl stellte: Sterben oder Kunstherz. Solche Schilderungen bewegen die Schülerinnen und Schüler sichtlich. Knicker geht in dieser Zeit kaum noch vor die Tür, hat Selbstmordgedanken. Er plant seine eigene Beerdigung – sogar die Liedfolge ist festgelegt. Im Klassenraum hört man in seinen Sprechpausen nur noch den Lüfter seines Laptops, so still ist es geworden. 

Mit dem Kunstherz geht es ihm zunächst besser. Sogar Urlaube sind möglich. Er zeigt ein Foto von sich und seiner Frau an einem See in Berchtesgaden. „Das sind meine Frau, Rainer und ich“, scherzt er.

Ein Spenderherz muss her

Als das Herzunterstützungssystem im Mai 2010 allerdings defekt ist, wird klar: Nur noch ein Spenderherz kann helfen. Und das Warten beginnt. Auf der Herzstation in Bad Oeynhausen lernt er andere herzkranke Patientinnen sowie Patienten kennen und Freundschaften entstehen. Einige versterben bei der Transplantation oder auf der Warteliste. Denn das Warten auf ein Spenderorgan kann dauern. Zwar gibt es Statistiken, aber niemand kann genau sagen, wie lange jemand warten muss. Sind die Grundvoraussetzungen gegeben, entscheiden die Erfolgsaussicht und die Dringlichkeit einer Organtransplantation über die Auswahl der Empfänger und Empfängerinnen. Dabei spielt auch die individuelle Wartezeit eine Rolle.

Schüler und Schülerinnen hören Hubert Knicker aufmerksam zu. Sie sitzen an Tischen, auf deinen Ordner und Wasserflaschen zu erkennen sind. Eine Schülerin ist im Fokus des Bildes, während weitere Personen im Hintergrund verschwommen wahrzunehmen sind.

„Wenn ich hier lebend rauskomme, will ich etwas zurückgeben“

Beim Warten auf sein Spenderherz trifft Hubert Knicker diese Entscheidung, die bis heute seinen Alltag prägt. Denn er gehört zu denjenigen, die Glück haben. Auf die Nachricht von Eurotransplant und seine Herztransplantation muss er nicht allzu lange warten. Es gibt ein geeignetes Spenderherz. „Meine Frau hat mir nachher erzählt, dass ich sofort aufgestanden bin, als der Anruf kam. Ab da war ich im Tunnel.“ Die Operation glückt und einige Jahre später steht Hubert Knicker in Bochum-Wattenscheid vor 24 Schülerinnen und Schülern, um seine Geschichte als Organempfänger zu erzählen.

Mit seinem ehrenamtlichen Einsatz will er bewirken, dass sich möglichst viele Menschen mit dem Thema Organspende auseinandersetzen – bewusst ergebnisoffen. „Auch ein Nein im Organspendeausweis ist ok. Aber bitte beschäftigt euch damit“, sagt Knicker. Die Reaktion der Klasse zeigt, dass das Konzept aufgeht. Die Schülerinnen und Schüler stellen Rückfragen und stecken die ausliegenden Organspendeausweise ein.

Ein neues Ziel vor Augen

Er empfinde jeden neuen Moment als Geschenk, betont Hubert Knicker. Das merkt man ihm an. „Damals bin ich aus der schweren Phase herausgekommen, weil ich mir das Ziel gesetzt habe, bei der Hochzeit meines Sohnes dabei zu sein. Das habe ich geschafft! Jetzt habe ich mir ein neues Ziel gesetzt: Ich will mindestens hundert Jahre alt werden.“ Wem würde man es mehr gönnen?

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