Regelung der Organspende: Was hat es mit der Gesetzesinitiative zur Widerspruchslösung auf sich?

Die Diskussion um die Einführung der Widerspruchsregelung rückt seit kurzem wieder stärker in den Fokus. Während ein neues Gesetzesvorhaben die Hoffnung auf mehr lebensrettende Spenden weckt, gibt es auch kritische Stimmen und wissenschaftliche Zweifel. Doch könnte diese Reform tatsächlich den entscheidenden Unterschied machen? Erfahren Sie, welche Argumente dafür und dagegen sprechen – und was diese Debatte für die Zukunft der Organspende in Deutschland bedeuten kann.
Kurz gefasst
  • Der Bundesrat hat einen Gesetzesentwurf eingebracht, der die Einführung der Widerspruchsregelung für Organspenden in Deutschland vorsieht.
  • Die Widerspruchsregelung würde alle Bürger als potenzielle Organspender erfassen, es sei denn, sie widersprechen ausdrücklich.
  • Die Initiative zielt darauf ab, den Organmangel zu verringern und mehr Menschen ein lebensrettendes Organ zu ermöglichen.
  • Kritiker bezweifeln, dass die Widerspruchsregelung allein zu einem Anstieg der Organspenden führen wird, und verweisen auf internationale Studien.

Vorstoß für die Widerspruchsregelung aus dem Bundesrat

Am 5. Juli 2024 beschloss der Bundesrat, einen Gesetztesentwurf zur Organ- und Gewebespende in den Bundestag einzubringen. Dieser Gesetzesentwurf sieht die Einführung der Widerspruchsregelung in Deutschland vor. Momentan wird die Organ- und Gewebespende über die Entscheidungslösung geregelt. Organe und Gewebe dürfen nur dann entnommen werden, wenn die verstorbene Person dem zu Lebzeiten zugestimmt hat. Es gibt dabei keinen Zwang, eine Entscheidung zu treffen. Liegt diese nicht vor, so werden die nächsten Angehörigen oder Bevollmächtigten im Fall der Fälle gebeten, im Sinn der verstorbenen Person über eine Organ- und Gewebespende zu entscheiden. 

Bei der Widerspruchsregelung gilt jeder Mensch als potenzielle Organspenderin oder Organspender, sofern sie oder er dem nicht ausdrücklich widersprochen hat. Erklärtes Ziel der Einführung der Widerspruchslösung ist es, mehr Menschen, die auf eine Organ- oder Gewebespende angewiesen sind, die Möglichkeit zu geben, ein lebensrettendes Organ zu erhalten. Dazu sollen die Personen, die der Organspende positiv gegenüberstehen, ihre Entscheidung aber bisher nicht dokumentiert haben, als zukünftige Organspenderin beziehungsweise Organspender erfasst werden.

Der neue Gesetzesantrag wurde durch einige Bundesländer vorangetrieben: 

  • Nordrhein-Westfalen
  • Baden-Württemberg
  • Berlin
  • Hessen
  • Mecklenburg-Vorpommern
  • Rheinland-Pfalz
  • Saarland
  • Schleswig-Holstein

Anfang Juni 2024 wurde der Antrag im Bundesrat vorgestellt, ihm sind Hamburg und Thüringen beigetreten. Der Gesetzesentwurf soll nun dem Bundestag vorgelegt werden. Ob das derzeitige Konzept als tatsächliches Gesetz beschlossen wird und dann in Kraft tritt, ist also noch komplett offen.

Parallel laufender Antrag

Parallel treibt auch eine fraktionsübergreifende Gruppe von Bundestagsabgeordneten einen Antrag zur Neu-Regelung der Organ- und Gewebespende voran. Auch dieser Antrag setzt sich für die Widerspruchsregelung ein. Hinter dem Gruppenantrag stehen Petra Sitte (Die Linke), Sabine Dittmar (SPD), die zugleich parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium ist, Gitta Connemann (CDU), Armin Grau (Grüne), Christoph Hoffmann (FDP) und Peter Aumer (CSU).

Organmangel in Deutschland

Die Länder begründeten ihre Initiative mit der geringen Zahl an Spenderorganen, die einer großen Menge von Menschen gegenübersteht, die auf ein Organ warten. Ende 2023 standen noch 8.385 Betroffene auf der Warteliste für ein Organ. Dabei wurden 2023 insgesamt 2.877 Organe von 965 Menschen gespendet. Die Situation in Deutschland wäre, so die Länder, damit von einem signifikanten Organmangel gekennzeichnet. Weiterhin hätte das 2022 in Kraft getretene Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende die erhoffte Verbesserung der Lage nicht herbeigeführt.

Ein zentraler Punkt des Gesetzes zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft war die Einführung eines Organspende-Registers. Im März 2024 ging dieses in Betrieb. Die Länder argumentieren hierzu in ihrem Antrag, das Register alleine würde in Bezug auf die Spenderzahlen keine wesentliche Verbesserung herbeiführen können.

Zu sehen ist ein Vater mit seinem Sohn, die im Sonnenuntergang stehen und von hinten fotografiert wurden. Man sieht lediglich ihre Umrisse, während rechts von ihnen ein schwarzes Schild steht, dessen Wegweiser in verschiedene Himmelsrichtungen zeigen.
Erster Vorstoß 2020

Ein erster Anlauf für eine Widerspruchsregelung wurde schon 2020 durch eine Gruppe von Bundestagsabgeordnete gestartet worden. Diese Gesetzesinitiative scheiterte damals jedoch im Bundestag.

Widerspruchslösung: Gegenstimmen

Einige wissenschaftliche Studien zweifeln an, ob alleine eine Umstellung hin zur Widerspruchslösung den erhofften Anstieg an Spenderorganen erbringt. So untersucht eine 2024 veröffentlichte Studie des Max-Planck-Instituts fünf Länder, Argentinien, Chile, Urugay, Schweden und Wales, die von einer Zustimmungsregelung zur Widerspruchsregelung wechselten. Dabei fanden sie keine Hinweise für den Zusammenhang von steigenden Organspendezahlen und dem Wechsel zur Widerspruchslösung.

Widerspruchslösung: Ein Ausblick

Die Organspendezahlen sind als ein multikausales Geschehen zu verstehen. Auch eine proaktive Spendererkennung und gut ausgebildete Transplantationsbeauftragte in den Krankenhäusern sind unerlässlich. Gesellschaftliche Strukturen und andere medizinische Voraussetzungen sind Faktoren, die die Zahl von Spenderorganen beeinflussen können.

Die Widerspruchslösung könnte jedoch, wenn sie von der Politik und auch von der Gesellschaft mitgetragen wird, einen Baustein darstellen, um bei der Organspende in Deutschland einen Kulturwandel herbeizuführen.

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren