Durch einen schweren Autounfall verlor Heiner Röschert seine beiden Kinder, Felix und Pia. Beide besaßen einen Organspendeausweis. Aus medizinischen Gründen konnten nur Felix' Organe zur Spende freigegeben werden.
„Meine Kinder Pia (27) und Felix (25) verbrachten den Heiligabend bei mir, wie in jedem Jahr. Wir haben zusammen zu Abend gegessen, Geschenke ausgetauscht und viel erzählt. Es war ein schöner Abend. Um halb zwei brachen die beiden dann auf. Pia wollte Felix noch mit dem Auto nach Hause fahren und sich dann selbst auf den Heimweg machen. Während der Heimfahrt wurden sie von zwei anderen Autos mit hoher Geschwindigkeit gerammt. Das erste traf sie ungebremst mit 180 km/h und schleuderte sie in den Straßengraben und von dort aus dann noch einmal zurück auf die Straße.
Dort fuhr das zweite Auto in sie hinein. Gegen vier Uhr klingelten mich ein Polizist und ein Notfallseelsorger aus dem Bett. Sie teilten mir mit, dass meine Tochter am Unfallort verstorben sei und dass auch Felix in Lebensgefahr schwebte. Sie machten mir wenig Hoffnung, dass er überleben würde. Der Aufprall war einfach zu heftig gewesen. Ab diesem Moment verschwimmt meine Zeitwahrnehmung. An vieles kann ich mich nicht mehr erinnern.“
„Ich weiß noch, dass mich der Notfallseelsorger in die Klinik zu meinen Kindern brachte. Empfangen worden sind wir dort vom Oberarzt. Pia lag schon gar nicht mehr auf der Intensivstation. Sie war bereits in ein Nebenzimmer gebracht worden. Der Oberarzt führte mich zu Felix. Er sah völlig unversehrt aus. Keine Schnittwunde, kein Kratzer.“
„Irgendwann hat mich der Oberarzt auf die Option einer Organspende angesprochen. Er sagte, dass die Hirntoddiagnostik vorher durchführen werden müsste. Falls der Hirntod festgestellt würde, hätte Felix die Möglichkeit Organspender zu werden. Ich stimmte der Diagnostik zu. An deren Ende stand dann auch fest, dass bei Felix der Hirntod eingetreten war. Die Frage nach einer Organspende stand dann im Raum.
Ich weiß noch, dass es in dem Moment für mich eine absolute Erleichterung war, zu wissen, dass Felix den Organspendeausweis hatte. Felix hat durch seine Arbeit als Krankenpfleger das Thema Organspende in die Familie gebracht und sein Umfeld regelmäßig mit Organspendeausweisen versorgt. Deswegen konnte ich relativ schnell zustimmen.“
Die Frage nach einer Organspende stand dann im Raum.
„Wenn er keinen Ausweis gehabt hätte, ich kann nicht sagen, wie ich mich dann entschieden hätte. In der gesamten Situation, in der ich mich damals befunden habe, wäre es unmöglich gewesen, eine klare Entscheidung zu treffen. Zeitdruck von Seiten der Ärzte habe ich dabei zu keinem Moment erlebt. Im Gegenteil: Ich hatte genügend Zeit, um Abschied von Felix zu nehmen. Es gab auch genug Raum für Freunde und Verwandte, sich zu verabschieden. Lediglich eine Person stand der Organspende skeptisch gegenüber. Aber Felix eigene Entscheidung war ausschlaggebend.
Am Nachmittag der Explantation erfuhr ich telefonisch von der Koordinatorin der DSO, dass fünf Organe entnommen wurden. Auch erhielt ich nochmals das Angebot, Felix zu sehen. Etwa sechs Wochen nach diesem Schicksalstag wurde ich schriftlich darüber informiert, dass vier Menschen - ich erfuhr Alter und Geschlecht - die Organe von Felix erhalten haben und dass die Transplantationen erfolgreich durchgeführt werden konnten.“
„Ob es ein Trost ist, zu wissen, dass Felix Leben retten konnte? Nein. Trost ist das falsche Wort. Meine Kinder sind tot und niemand kann das ändern. Aber in meiner Trauer war es eine positive Mitteilung.“
„Das Thema Organspende beschäftigt mich bis heute. Ich möchte mit meiner ehrenamtlichen Tätigkeit die Gesellschaft mit diesem Thema konfrontieren. Ein von mir 2016 gegründetes „Netzwerk für Angehörige von Organspendern“ ist ausschließlich für betroffene Personen tätig. Wir unterstützen Angehörige in der akuten Situation, aber auch langfristig. Auch im gesellschaftlichen Leben - etwa für die Mitarbeiter der DSO und Eurotransplant sowie für Klinikpersonal und Notfallseelsorger - berichte ich über meine eigenen Erfahrungen mit der Organspende. Zu einem meiner Ziele gehört es, dass die Organspender mit dem notwendigen Respekt und Dank unserer Gesellschaft gewürdigt werden; ebenso wie jeder der Leben rettet. Ich würde gerne erreichen, dass die Angehörigen von Organspendern eine stärkere Stimme bekommen. Unsere Erfahrungen als Angehörige von Organspendern könnten sicherlich allen Organisationen, die sich mit der Organspende beschäftigen, nützlich sein.“